Vor Kurzem fiel mir das Buch „Ich war Mann und Frau“ von Christiane Völling in die Hände. Der Untertitel heißt „Mein Leben als Intersexuelle“. Auf den ersten Blick mögen manche denken: „Davon sind wir nicht betroffen“, oder „das ist im Kindergarten noch kein Thema“ oder ähnliches. Ich finde DOCH, es ist einThema, daher hier dieser Artikel.
„Intersexuell“ bedeutet: „Es handelt sich um Menschen, deren äußeres geschlechtliches Erscheinungsbild von Geburt an, hinsichtlich der Chromosomen, der Keimdrüsen und der Hormonproduktion nicht nur männlich oder nur weiblich erscheinen, sondern scheinbar eine Mischung aus beidem darstellt.“ (www.im-ev.de).
Da in Deutschland innerhalb von 7 Tagen das Kind gemeldet und ein Geschlecht (männlich oder weiblich) zugeordnet werden muss, wurde über Jahrzehnte oft einfach ein Geschlecht ausgewählt, die Kinder entsprechend operiert und sozialisiert und ansonsten nicht viel darüber geredet. Die Folgen für die betroffenen Menschen in der Regel drastisch.
Die Zahlen sind nicht sehr klar, aber es wird davon ausgegangen, dass jeden Tag ein Kind intersexuell geboren wird. Jede_r von uns kennt also vermutlich einen intersexuellen Menschen – oder betreut eine_n in der Einrichtung.
„Mir ist das, egal, für mich sind alle gleich.“ Dieser Satz, mit dem manche Menschen Toleranz zu Tage bringen möchten, trägt aber im Gegenteil zum Verschweigen und zur Diskriminierung bei. Das Buch „Ich war Mann und Frau“ hat mir sehr die Augen geöffnet, wie sehr es auch in diesem Bereich in unser aller Verantwortung liegt, wirklich inklusiv zu sprechen und zu handeln, gerade wenn wir Mehrheiten angehören und Diversity wirklich leben möchten.
Was können wir tun?
1/ Formulare prüfen: ist die Angabe „m/w“oder „Herr/Frau“ wirklich notwendig? Falls ja, gibt es ein drittes Feld mit „intersexuell, Zwitter“ oder „anderes“?
2/ Bewusstheit über Rollenbilder, die wir leben und vermitteln. Was für ein Frauenbild / Männerbild vermittle ich? Wie sind unsere Rollen in der Einrichtung verteilt? Was erleben die Kinder und Jugendlichen?
3/ Vorsicht Sprache: „Klein für einen Jungen“, „Groß für ein Mädchen“, „Sie klettert wie ein Junge“, „Er rennt wie ein Mädchen“… diese „nicht-böse-gemeinten“ Aussprüche werden von Kinder gehört, prägen sie. Wie gehen wir mit solchen Aussprüchen um? Wie und in welchem Rahmen thematisieren wir Rolle, Gender, Identität?
4/ Hintergrundwissen und Lebensgeschichten: welche Bücher und Informationen stellen Sie zur Verfügung? Für sich selbst, Kolleg_innen, Jugendliche, Kinder, Erwachsene?
Zum Weiterlesen:
Intersexuelle Menschen e.V.
Wikipedia
Völlig, Christiane: „Ich war Mann und Frau“
Rosen, Ursula: „Jill ist anders“ (Kinderbuch)
Fessel, Karen-Susan: „HerzBlut – Liebe macht anders“ (Jugendbuch)
Clips, Carsten: „Weil ich so bin“ (Jugendbuch, erscheint im Februar).
Weitere Artikel:
Seminar Reflexionsmoment: Geflüchtete